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Offene Diskussion ist notwendig: Migration und Asyl neu gestalten!

Da hat diese Woche einer einen großen Brocken ins Wasser geworfen. Er hat tatsächlich `Asylrechtsänderung´ gesagt! Wer? Thorsten Frei, Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, also keineswegs irgendwer, sondern ein durchaus wichtiger Spieler auf der Berliner Bühne. Und nein, er kam damit nicht als Einzelkämpfer gegen den Willen der Parteiführung heraus, auch wenn so manches Unionsmitglied aktuell entweder zu mutlos ist, ihm öffentlich beizupflichten, und andere es, wer weiß, auch gar nicht richtig finden.

Die BILD machte aus Freis Idee sogleich gar eine „Asyl-Revolution“, und die absehbare Empörungslawine ließ nicht lange auf sich warten. „Brandgefährlich und geschichtsvergessen“ nannte die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung Freis Idee. Und Karl Kopp von Pro-Asyl stellt ebenso falsch wie vorhersehbar fest, „dass die Union damit die Positionen der Rechtsextremen übernimmt.“ Das ist Quatsch, denn die AfD, die er damit wohl meinte, will das Asylrecht jedenfalls bislang gar nicht anfassen. Konkurrierende Parteien empören sich, und in reicher Zahl sogleich medial aufgerufene Experten beeilen sich, pflichtschuldigst schnell festzustellen, wie unsinnig oder undurchführbar Freis Idee doch ist. 

VOHERSEHBARE DISKREDITIERUNG

Wie langweilig. Wie immer gleich. Vor allem aber: wie ignorant. Kaum macht einmal jemand einen Vorschlag, der grundlegende Änderungen beim aktuell geltenden Asylrecht bedeuten würde, wird sofort die Diffamierungskeule geschwungen. In einer Situation, in der doch kaum noch abgestritten werden kann, dass die bisherige Lösungsstrategie so nicht funktioniert, ein immer wieder erstaunlicher und trauriger Vorgang. Und dann debattieren täglich alle möglichen vermeintlichen Experten darüber, warum bloß so viele Menschen so politikverdrossen sind. Vom Psychologen bis zum Politologen dürfen sich alle austoben, um das unheimliche Wesen des frustrierten Bürgers zu erklären, mal mit moralischem Zeigefinger, mal in therapeutischem Gestus. Dass die Verdrossenheit auch damit zu tun haben könnte, dass wirklich offene Debatten bei vielen Themen kaum möglich sind – warum eigentlich nicht? –, wird selten erwähnt und vermutlich gar nicht erkannt.

KALKULIERTE PROVOKATION

In diesem Vorstoß hat Frei genau dieses Entsetzen natürlich eingeplant und benutzt es gezielt. Kämpft doch die CDU verzweifelt darum, sich endlich als „Alternative für Deutschland mit Substanz“ (Originalton Friedrich Merz, eine zurückhaltend ausgedrückt wenig glückliche Formulierung) zu profilieren. Übrigens ist Frei auch keineswegs der Erste in der Union, der sich seit einigen Monaten provokant an das brisante Thema heranwagt.  Bereits Michael Kretschmer und auch Jens Spahn hatten ebenfalls verbal die Axt an bisherige Asyl-Selbstverständlichkeiten gelegt und wie nun auch Frei dafür Empörung und Vorwürfe geerntet, man schwenke zu sehr nach rechtsaußen.

DIE FAKTEN

Aber was war eigentlich geschehen? Thorsten Frei hatte in einem Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vorgeschlagen, das Individualrecht auf Asyl abzuschaffen. Allerdings keineswegs ersatzlos, aber wie das in solchen Fällen eben ist, die weiteren Details sind vielfach in der Empörung untergegangen.

Konkret schlägt er vor, das Asylrecht in der EU neu zu gründen, denn dort wird es fast vollständig geregelt. Statt eines Individualrechts auf Asyl will er eine sogenannte Institutsgarantie. Die Folgen: Keine Antragstellung mehr auf EU-Boden (damit auch keine aufwendige individuelle Antragsprüfung). Stattdessen könne Europa dann jährlich 300.000 oder 400.000 Schutzbedürftige direkt aus dem Ausland aufnehmen. Er stellt heraus, was die Vorzüge eines solchen Wechsels wären: So sei dann auch eher erreichbar, dass endlich die Schwächsten Hilfe bekommen, man könne gezielt dort aufnehmen, wo es sinnvoll ist, Sicherheitsrisiken seien minimiert, illegale Migration wäre unterbunden. Außerdem schweben ihm Sonderregeln vor, die bewirken, dass man z.B. bei einem Massenzustrom wie aus der Ukraine Europa für einen längeren Zeitraum kein Kontingent aus dem entfernteren Ausland mehr aufnähme.

EIN NEUSTART IST RICHTIG

Lassen sie mich das deutlich sagen: Ich begrüße konstruktive Ideen aus der Union, das Asylrecht komplett neu aufzustellen. Das sage ich wohlwissend, dass die Union unter Kanzlerin Merkel und ihren krassen Fehlentscheidungen ihrerseits erheblich zur Verschlimmerung der Lage beigetragen hat. Und ich sage es auch in dem Bewusstsein, dass die nun aufblitzende plötzliche Klarsicht sehr schnell wieder eingetrübt werden könnte, sobald es reale Machtoptionen erfordern. Ich bewerte den Vorschlag deshalb rein sachlich, nicht polit- oder machttaktisch, es ist mir dabei egal, wie er eigentlich motiviert ist. Ich beurteile ihn allein danach, ob er vernünftig und zielführend erscheint oder nicht (und ich wünschte mir angesichts der außerordentlich prekären Lage unseres Landes, das wäre die Regel).

Über einzelne Punkte kann und muss man sicherlich diskutieren. So stehe ich einem festen Aufnahmekontingent in dieser Größenordnung durchaus skeptisch gegenüber. Vollkommen richtig aber ist Freis Ansatz, individuelle Prüfungen auf europäischem Boden auszuschließen und somit das bisherige Grundprinzip infrage zu stellen. Ja, die Wahrscheinlichkeit, das auf europäischer Ebene wirklich durchsetzen zu können, ist im Moment noch nicht groß. Das EU-Asylrecht ist auf unterschiedliche Regelungswerke verteilt, was ein solches Vorhaben extrem anspruchsvoll macht. Es ist gewiss auch noch eine Herausforderung, aus der groben Idee überhaupt einen unangreifbaren rechtlichen Entwurf zu entwickeln, der dann in reale Politik umgesetzt werden kann. 

SCHLUSS MIT DER SCHEINMORAL

Was aber überhaupt nicht geht: Wir können nicht zu jedem Lösungsvorschlag von vornherein und ohne jede weitere Prüfung, geradezu reflexartig sagen, er sei inakzeptabel und inhuman (und deshalb also am Status quo festhalten), und dabei komplett ausblenden, dass die derzeitige Praxis ohne jeden Zweifel selbst inakzeptabel und inhuman ist und zu üblen Ergebnissen für alle führt, für die in ihrer Heimat lebenden Bürger der Staaten der EU wie auch für die Migranten, die eine dauerhafte Bleibe mit echter Lebensperspektive hier anstreben. Tatsächlich ist unsere Praxis doch seit Jahren scheinheilig und zweigleisig. Wir gerieren uns nach außen als die vermeintlichen edlen Retter der Welt, zeigen zugleich mit dem Finger auf die vorgeblich bösen Polen und Ungarn, erkennen aber zugleich, wenn auch sehr viel zu langsam, dass wir diesen Zustrom gar nicht schultern können und er zu desaströsen Zuständen in unseren Ländern führt.

ZEIT FÜR EHRLICHKEIT

Das ist verlogen, und es ist im Ergebnis weitaus inhumaner als jede transparente und auch deutlich in die Herkunftsländer getragene Stopp!-Botschaft und geschlossene europäische Außengrenzen. Die Wahrheit ist: Wir müssen einen Weg finden, uns vor unkontrollierter, unrechtmäßiger und zahlenmäßig gar nicht zu bewältigender Migration zu schützen. Das muss, wie es Thorsten Frei ja vorschlägt, durch eine strikte Mengenbegrenzung der Aufnahme, durch klare und jederzeit durchgesetzte Regeln des Zusammenlebens und durch eine aktive eigene Auswahl der Zugang nach Europa suchenden Migranten geschehen.

Zur Wahrheit gehört eben auch: Wir werden nicht jeden aufnehmen können, der Hilfe braucht. Das offen auszusprechen, ist eine zwingende Voraussetzung für jede Debatte. Darum vernehme ich erfreut, dass immerhin einige wenige Stimmen sich von der allgemeinen Empörungswelle gegenüber dem Vorschlag Freis abheben und einer grundsätzlichen Reform des Asylrechts nicht pauschal ablehnend gegenüberstehen. Hoffen wir, dass diese, unterstützt vom anwachsenden Druck aus den überforderten Ländern und Gemeinden, letztlich einen Änderungsprozess in Gang setzen. Ich werde konstruktive Vorstöße dieser Art im Europäischen Parlament mit meiner Stimme ganz gewiss unterstützen.

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