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EU-Migrationspolitik: Schluss mit der Augenwischerei

Wieder dreht die Politik eine neue Runde im Streit um Migration. Manche Runden bringen minimale Verschärfungen, andere sind vollkommen für die Katz. Von echten Lösungen, die so dringend wären, sind wir in jedem Fall sehr weit entfernt.

DIE AKTUELLE DEBATTE

Der neueste Streit: Die Regierung hat einem EU-Gesetz zugestimmt, das eine Höchstdauer von drei Jahren für EU-interne Grenzkontrollen festlegt. Die Union wettert dagegen. Ihr Argument: Ihr lobt Euch doch sogar selbst für die Grenzkontrollen und erzählt, wie effektiv die sind. Warum stimmt Ihr dann einer Befristung dieser wichtigen Möglichkeit zu?

VIEL WIND UM WENIG

Die Argumentation ist durchaus richtig, allerdings: Was geschieht denn wirklich an den deutschen Grenzen? Mitte Oktober hat die Ampelregierung nach wiederum sehr großem Druck und nach dem üblichen Gejammer, das ginge nicht und das bringe auch nichts, die stationären Grenzkontrollen auf Grenzabschnitte zu Polen, Tschechien und die Schweiz ausgeweitet. Die Grenze nach Österreich wird schon seit 2015 kontrolliert. Aber was heißt das? Es heißt meist, dass die Menschen trotzdem in unser Land kommen, obwohl sie eigentlich zur Bearbeitung der Frage ihrer Bleibeberechtigung in den jeweiligen Nachbarstaaten Deutschlands verbleiben müssten.

Aber es hieß doch, die festgestellten unerlaubten Einreisen seien spürbar und kräftig zurückgegangen, oder etwa nicht? Die WELT schreibt mit Berufung auf Angaben der Bundespolizei, im Januar seien insgesamt 6892 unerlaubte Einreiseversuche in die Bundesrepublik an den Landesgrenzen, Bahnhöfen und Flughäfen festgestellt worden, darunter zwei Drittel an den stationär kontrollierten Abschnitten zu Polen, Tschechien, der Schweiz und Österreich. 2108 davon seien zurückgewiesen worden.

Angesichts der Tatsache, dass wir von sicheren Nachbarstaaten umgeben sind, in denen Asylanträge gestellt werden sollten, sehe ich keinen Anlass, über diese Zahlen zu jubeln. Es müssten alle bereits in diesen Ländern ihren Antrag stellen. Hinzu kommt: Die großen Zuwanderungsbewegungen starten in der Regel im Frühjahr. Eingeräumt, ein gewisser Dämpfungseffekt ist durchaus vorhanden, aber dennoch sind die Zahlen der Neumigranten in Deutschland schon jetzt wieder hoch.   

„BEIFANG“ UND SCHLUPFLÖCHER

Und aufgepasst, die Zahlen benennen lediglich die entdeckten illegalen Einreisen. Wie viele gar nicht entdeckt wurden, wissen wir nicht.  Sollte diese Zahl hoch sein, wofür vieles spricht, relativiert das den Erfolg um ein weiteres. Immerhin ist auf der Erfolgsseite zu verbuchen: Die Grenzkontrolleure haben offenbar nicht wenige Schlepper und per Haftbefehl gesuchte Personen einkassiert. Das ist gut.

Warum werden nicht alle unerlaubten Einreisen an der Grenze abgewiesen? Es läuft so: Ob ein Migrant bereits einen Antrag in einem anderen Land gestellt hat, ist, sofern die Identität nicht verschleiert wird, leicht durch die Polizei feststellbar. Trotzdem kann sie die Menschen nicht automatisch zurückweisen, denn die Nachbarstaaten verweigern sich. Ihr Schlupfloch: das EU-Recht bzw. die mehrheitlich vertretene Deutung des EU-Rechts. Demnach muss Deutschland Asylsuchende zunächst einreisen lassen. Dann wird via Dublin-Verfahren die Zuständigkeit geprüft. Und dann wird der Betreffende in das zuständige Land gebracht. Moment, das war doch was … theoretisch! Und praktisch: Bleiben sie hier.

DREI JAHRE VON KOMMISSIONS GNADEN

Dass künftig legal drei Jahre Grenzschutz möglich sind, könnte man – wiederum theoretisch – durchaus als Fortschritt ansehen. Rechtlich waren bisher nur zwei Jahre möglich. Die Neufassung des Schengener Grenzkodex erlaubt nun bei außergewöhnlichen Umständen und sehr gut begründet bis zu drei Jahre, wenn „die öffentliche Ordnung oder die innere Sicherheit in einem Mitgliedstaat ernsthaft bedroht“ ist. Grob: Je länger die Phase sein soll, desto mehr darf die EU-Kommission mitreden. Es gibt übrigens sogar einige weitere neue zu Teilen durchaus sinnvolle Regelungen zur Eindämmung, auf die ich aber nicht weiter eingehen will, denn Ihnen wird aufgefallen sein, oben ist es erwähnt, dass die Grenze zu Österreich bereits seit 2015, also doch eigentlich viel länger als erlaubt, kontrolliert wird. Was ist da los? Nun, das ist schnell erklärt. Die Wahrheit ist: Das komplette Migrationssystem der EU ist längst schon vollständig dysfunktional! Es gilt: Wer die Regeln einhält, ist der Dumme, weil der, der sie nicht einhält, damit durchkommt. Und wenn es hart auf hart kommt, gibt es sowieso Notbeschlüsse.

AUFWACHEN! AUSGETRÄUMT!

Der Traum der verschwundenen Grenzen innerhalb Europas ist ausgeträumt.  Nicht etwa, weil es so erstrebenswert wäre, das eigene Land wieder selbst schützen zu müssen. Nein, weil Europa schlicht und einfach unfähig und unwillig war, das Migrationsproblem frühzeitig mit der gebotenen Ehrlichkeit und Nüchternheit zu betrachten und Lösungen dafür zu finden. Die Lage wurde schöngeredet, Scheinlösungen bevorzugt, Verantwortung vertagt, auf Wunder gehofft. Und die Realisten wurden mit Moralkeulen geprügelt.

Nun haben wir den Salat. Und ich bin mir sicher, dass die Union sehr genau weiß, dass ihre Auffassung, dass es gar keine Befristung der Grenzkontrollen geben sollte, wiederum auf „Geht nicht, dürfen wir nicht, bringt nix“ stoßen wird. EU-rechtlich ist das tatsächlich angreifbar. Aber ein EU-Migrationsrecht, das letztlich EU-Unrecht erzeugt, weil es durch Missachtung ausgehöhlt wird, nützt nicht, sondern schadet.

Die Befristung der Grenzsicherung geht vom Irrglauben aus, dass wir Grenzschutz vorübergehend als Notlösung brauchen. Wahr ist aber, dass wir Binnenkontrollen so lange brauchen werden, wie der Schutz der EU-Außengrenze nicht verlässlich funktioniert. Deshalb ist die Befristung utopischer Quatsch. 

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