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EU-Knatsch im rechten Lager: Fundi-Krawallos vor Ausgrenzung

Können Sie sich daran erinnern, dass sich die Berliner Hauptstadtmedien jemals besonders für informelle Treffen von Vertretern rechtskonservativer Parteien der EU interessiert haben? Ich nicht, obwohl ich bereits seit Ende 2017 Mitglied des Europäischen Parlaments (EP) bin. Klar, wenn es eine größere Zusammenkunft der europäischen Parteispitzen gab, dann war das auch mal kurz für den Moment interessant. Was haben sie vor? Ziehen sie an einem Strang, wenn es darum geht, die Politik in Europa zu beeinflussen? Fahren sie eine gemeinsame Strategie in ihren Heimatländern oder driften sie eher auseinander? Welche Bündnisse, welche Abneigungen gibt es? Klar, so etwas interessiert Journalisten, um die Akteure und ihr künftiges Agieren in den Parlamenten einschätzen zu können.

AUSEINANDERDRIFTEN DER RECHTSKONSERVATIVEN

Seit einiger Zeit jedoch berichtet die Presse deutlich intensiver als zuvor, denn erstens stehen die Europawahlen vor der Tür und zweitens merken die auch, dass sich da derzeit etwas tut. Von Knatsch in der Fraktion „Identität und Demokratie“ (ID), in der sowohl die Partei Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen als auch die deutsche AfD – zumindest noch – vereint sind, ist die Rede. Begonnen hat es mit Berichten über den jetzigen Spitzenkandidaten der AfD, Maximilian Krah, dem diverses Fehlverhalten zur Last gelegt und der bereits zweimal temporär von der Fraktion suspendiert wurde. Bereits diese eine Personalie führte zu Spannungen zwischen der AfD einerseits und den übrigen Parteien in der ID-Fraktion.

Seit Correctiv vor Wochen über das Potsdamer Treffen berichtet hat, knirscht es nun erst recht zwischen Le Pen und der AfD. Alice Weidel muss sich wie eine ungezogene Elevin als Vertreterin ihrer Partei vor Le Pen rechtfertigen, versuchen die Wogen zu glätten, was ihr jedoch offenbar nicht gelingt. Le Pen hat sich nicht nur außergewöhnlich klar von dem Potsdamer Treffen und den Remigrationsideen Sellners distanziert, sondern eben auch von der AfD selbst. Warum ist das bedeutsam? Nun, weil es hier keineswegs nur um das Potsdamer Treffen geht. Der tatsächliche Dissens ist viel größer.   

 ERFOLGSRECHTE AUF REALOKURS    

Die Unstimmigkeiten zwischen der AfD und Le Pens RN stehen für einen viel weitergehenden Disput im rechten Lager und markieren nur die Spitze eines Eisbergs der Entfremdung.

Für die diesjährigen Europawahlen wird eine erhebliche Stärkung des rechtskonservativen Lagers im EP prognostiziert. Dieses besteht aus der Fraktion der EKR und der Fraktion der ID. Nun muss man sich das politische Spiel im Parlament für die Vergangenheit ungefähr so vorstellen:  Die EKR (darin Melonis Fratelli d’Italia und die polnische PiS) wird gerade noch so eben als Gesprächspartner von der derzeit bedeutendsten Kraft im EP, der EVP (darin CDU/CSU), oft als Mitte-Fraktion betitelt, akzeptiert. Die ID-Fraktion dagegen (darin Le Pens RN, Salvinis LEGA, die FPÖ und eben die AfD) hat normalerweise keine Chance auf irgendwelche Teilhabe im Sinne einer politischen Zusammenarbeit.  

Le Pen und auch einige andere rechtskonservative Parteien im EP sind aber –durchaus nicht grundlos – zuversichtlich, durch die Wahlergebnisse der kommenden Europawahl gestärkt, eventuell einen Zusammenschluss der beiden rechtskonservativen Fraktionen und jedenfalls punktuell in der Sache eine Zusammenarbeit auch mit der EVP erreichen zu können. Sie wollen auf diese Weise endlich echten politischen Einfluss gewinnen und sich von wirkungsloser Fundamentalopposition verabschieden.

FUNDAMENTALISTEN VERHINDERN MACHTOPTIONEN  

Unübersehbar haben etliche der rechtskonservativen Parteien dieser Fraktionen schon vor geraumer Zeit damit begonnen, sich von selbstbeschädigenden, als zu krass empfundenen Positionen zu verabschieden, um diesem Ziel echter politischer Relevanz näher zu kommen. Sie verorten sich zunehmend mittiger und lösen sich von randständigen Positionen (und auch von entsprechender Wortwahl). Diese Parteien sind, mit oder ohne bereits bestehende Regierungsverantwortung, inzwischen in der Realpolitik angekommen und haben ihren früheren Fundamentalismus und auch extreme Positionen weitgehend abgelegt. Das gilt für alle in dieser Kolumne genannten Parteien, außer der AfD, die sich unübersehbar und von den anderen europäischen Parteien eben auch bemerkt in die andere Richtung entwickelt.

Und nun empfinden die starken realpolitischen Kräfte die Extremen, die Unberechenbaren auch jenseits eines echten Zusammenschlusses bereits als imageschädigende Störfaktoren. Auch wer nicht entschlossen mitziehen will, soll sich als Minimalanforderung wenigstens keine Skandale leisten und gefälligst seine Truppen im Griff haben. Wer das nicht leistet oder zu garantieren imstande ist, stellt ein zu großes Risiko dar und bekommt infolgedessen erst Druck und dann deutliche Distanz zu spüren.

SPANNENDE SORTIERPROZESSE

Was sich also gerade abspielt, sind im Grunde sehr spannende Sortierprozesse im Lager der rechten Fraktionen des EP, mit noch weitgehend offenem Ausgang. Es kristallisiert sich aber bereits jetzt ein starkes realpolitisches Lager heraus, das bei positivem Wahlausgang aller Voraussicht nach eine Chance bekommen wird, anders als bislang europapolitische Prozesse wirklich zu beeinflussen. Die fundamentaloppositionellen Parteien, die sich den fragwürdigen Luxus krasser Positionen wie krassen Personals leisten, exemplarisch die deutsche AfD, werden da eher nicht dabei sein. Sie behalten dann wohl ihre Nische am ganz rechten Rand, haben allerdings etwaige Machtoptionen für lange Zeit verspielt. Für Marine Le Pen persönlich ist die Aussicht auf die angestrebte Präsidentschaft in Frankreich übrigens auch im Hinblick auf spätere nationale Wahlen aktuell positiver denn je zuvor.  Wer ihre Positionen teilt, darf also hoffen.

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