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Zeitenwende, aber richtig

Was wir in diesen Monaten der voranschreitenden Energie- und Wirtschaftskrise dringender denn je brauchen, ist das, was völlig unübersehbar in der gegenwärtigen Politik am meisten fehlt: strategisches Denken, kühler Pragmatismus, und die Fähigkeit zu sauberer datenbasierter Analyse als Grundlage der kurzfristig zu treffenden Entscheidungen. Was wir stattdessen haben − auf nationaler wie auf EU-Ebene − ist ein wirtschafts- und energiepolitischer Schlingerkurs ohne Sinn und Verstand, bei dem selbst hartgesottenen Zeitgenossen schwindelig werden kann, garniert mit ständigen moralischen Appellen und Attitüden, die ein sicherer Indikator für die schockierende Hilf- und Ratlosigkeit der politischen Entscheidungsträger ist.

Der gegenwärtige kopflose Aktionismus bringt die gesamte europäische Wirtschaft, insbesondere auch die deutsche, ins Taumeln. Ein trauriges aktuelles Beispiel zur Anschauung dessen bietet die Rede zur Lage der Europäischen Union, die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Mitte dieser Woche im Europäischen Parlament gehalten hat.

Hoch pathetisch, gesten- und wortreich wie stets, wenn sie eine ihrer endlosen Reden im Parlament inszeniert, präsentierte sie dort die wahrlich bahnbrechende Erkenntnis, dass der gegenwärtige Wirtschafts- und Energiekrieg eine große Belastung für die Verbraucher ist. Ja, wer hätte das gedacht? Schön immerhin, dass diese Erkenntnis inzwischen auch Frau von der Leyen im vom Leben der normalen Menschen perfekt abgeschirmten Berlaymont-Gebäude der Europäischen Kommission erreicht hat. Aber von der Leyen wäre nicht sie selbst, wenn sie nicht sogleich ihre immer gleiche vermeintlich positive Botschaft für das geschundene Volk anfügen würde, um sich damit in ein möglichst helles Licht zu tauchen. Die lautet, da könne man −  konkret: die Europäische Kommission − doch gegensteuern und das werde man auch tun.

Und wie stellt sie sich das vor? „Viel Symbolik und große Pläne“ urteilte angesichts der Ausführungen selbst eine Korrespondentin der ansonsten gegenüber von der Leyen meist wenig kritischen ARD. Man kann es auch deutlicher ausdrücken: nichts als heiße Luft und teure zusätzliche Ausgabenwünsche auf Pump.  Von der Leyens Gegensteuerung unterteilt sich in diese Maßnahmen: Durchhalte- und Tapferkeitsappelle, um die Motivation hochzuhalten. Umverteilung, um die derzeitige finanzielle Mehrbelastung von unteren Einkommensgruppen wenigstens ein bisschen abzufedern. Für Unternehmen in größter Not, deren Belastung sie beiläufig zumindest erwähnt, hat sie übrigens ein leuchtendes Beispiel der Tapferkeit und des Einfallsreichtums parat: „So haben die Beschäftigten in mittelitalienischen Keramikfabriken ihre Schichten in die frühen Morgenstunden verlegt, da der Strom dann preisgünstiger ist.“ Na wow, das wird es ganz sicher richten. Die Dame scheint von Wirtschaft ähnlich viel zu verstehen wie der deutsche Wirtschaftsminister. Insolvenzen sind da, wie wir wissen, ja sowieso keine Gefahr. Entweder man produziert und verkauft einfach zeitweise nichts mehr, weil die dazu notwendige Energie nicht verfügbar oder unbezahlbar teuer ist (Habeck), oder man verlegt die Frühschicht der Produktion in die Nacht, weil man zu der Tageszeit die Energie vielleicht noch ein paar Wochen bezahlen kann (von der Leyen).

Heilige Einfalt, möchte man da ausrufen. Und diese Einlassungen stammen nicht etwa von einigen Stammtischbrüdern im Zuge alkoholbedingter Umnachtung, sondern von höchstbezahlten sogenannten Spitzenpolitikern der deutschen Bundesregierung und der Europäischen Kommission.

Damit nicht genug, wenn man Frau von der Leyen weiter zuhört: Für die Befriedung erregter Gemüter ist außerdem eine `Abschöpfung´ der Übergewinne von Stromerzeugern im Boot (übrigens auch von denen, die doch eigentlich jetzt fleißig investieren sollen, um die sagenumwobene grüne Energiewende endlich in Fahrt zu bringen). Und eine weitere Aufweichung der Maastrichter Schuldenregeln gehört selbstverständlich auch zu den grandiosen Ideen. Auch das fällt letztlich unter Umverteilung, nämlich Umverteilung auf die Schultern künftiger Generationen, die sich gegen diesen Wahnsinn nicht einmal wehren können.

Weitere zukunftsweisende Ideen aus von der Leyens Brüsseler Traumfabrik: Eine „Wasserstoffbank“ soll gegründet werden. Das ist übrigens ungefähr so wie der Kauf eines Tresors für Geld, das man erst noch verdienen muss, denn es ist hinlänglich bekannt, dass die Wasserstofftechnik noch in den Kinderschuhen steckt und mit vielerlei ungelösten Problemen einhergeht.

Sodann: Neue Abhängigkeiten vermeiden und die vorhandene Abhängigkeit von Russland beseitigen, so von der Leyen weiter. „Statt auf Russland setzen wir nun auf verlässliche Lieferanten – die USA, Norwegen, Algerien und andere.“ Aha, andere, vorsichtshalber nicht näher benannte Lieferanten. Aserbaidschan zum Beispiel ist so ein anderer Lieferant. Angesichts des brutalen Angriffs Aserbeidschans auf Armenien einschließlich etlicher ziviler Toter unterlässt sie hier wohl lieber die konkrete Nennung einer von ihr selbst (!) erst im Juli (!) gemeinsam mit dem dortigen Diktator Alijew (!) vor Ort feierlich getroffenen Vereinbarung mit dem Aggressor Aserbeidschan. Von 2027 an sollen jährlich mindestens 20 Milliarden Kubikmeter Gas aus Aserbeidschan geliefert werden. Man schlage „ein neues Kapitel in der Energie-Zusammenarbeit“ auf, hatte von der Leyen im Juli hoch erfreut erklärt.

Die bei Frau von der Leyen immer wieder zu beobachtende und stets kamerawirksam in Szene gesetzte Fähigkeit zu höchster moralischer Entrüstung scheint bei ihr, mit Verlaub, wohl recht selektiv ausgeprägt zu sein. 

Dazu am Rande: Ich habe diese Woche Robert Habecks Pressekonferenz nach dem G7-Treffen der Wirtschaftsminister angeschaut und bekam dort zu Gehör, dass nun endlich Schluss sei mit diesem unentschlossenen Rumgeeiere zwischen Moralismus und Gleichgültigkeit und nun eine Art geregelte Morallinie gefunden wurde. Wie bitte soll das zusammenpassen?

Wird Ihnen inzwischen schwindelig? Das verstehe ich. Dabei habe ich bisher nur einen Bruchteil all der befremdlichen Rettungsideen erwähnt. Ich belasse es dabei, denn die Nachrichten sind ja voll mit weiteren Genialitäten aus Brüssel und Berlin. 

Widersprüchlichkeiten, tief heuchlerische Doppelmoral und Maßstabswechsel nach Belieben, das ist es, was wir täglich auf der politischen Bühne sehen und erleben.  Nun, sehen wir für einen Moment darüber hinweg. Lassen wir auch einmal beiseite, dass das Gros der angeblichen Problemlösungen entweder reine Symptombehandlung oder schlicht unerfüllbar ist.

Aber über eines dürfen wir keinesfalls hinwegsehen: Was gerade als „Reform“ des Strommarktes ins Haus steht, nämlich eine Entkopplung des Strom- und Gaspreises, ist nichts weniger als eine Abrissbirne für einen funktionierenden Marktmechanismus. Energiewirtschaftsexperten – selbst die regierungsnahen –  warnen mit Recht davor, ausgerechnet jetzt in die Systematik des Energiemarktes einzugreifen. Zu groß ist die Gefahr, die Lage dadurch noch zu verschlimmern und den Energiemarkt in ein komplettes Chaos zu stürzen. Der Gedanke, den Energiemarkt nun durch staatliche Steuerung des Preismechanismus dirigieren zu wollen, führt in die Irre und würde nur dauerhafte Mangelwirtschaft bewirken. Es ist nichts als der naive ewig gleiche Traum einer vermeintlich überlegenen und vorgeblich gerechteren Steuerung des Staates gegenüber jener des Marktes.

Was es jetzt stattdessen dringend braucht, sind strukturelle Änderungen an verschiedenen Fronten. Um die Preissituation zu entspannen, muss vor allem mehr Strom verfügbar werden. Wir haben ein Angebotsproblem, das man gar nicht allein mit nachfrageseitigen Maßnahmen, mit teilweise skurrilen Einsparvorschlägen und reinen Umverteilungsaktivitäten in den Griff bekommen kann. Keinesfalls darf das Stromangebot zum Jahresende durch Abschaltung der drei verbliebenen Kernkraftwerke noch kleiner werden. Um die Situation der Unternehmen zu entspannen und hochgefährdete Arbeitsplätze zu sichern, braucht es in dieser besonderen Lage tatsächlich die vorübergehende Unterstützung von Unternehmen. Aber es muss bewusst sein, dass das nicht über einen längeren Zeitraum geleistet werden kann und bis dahin die Versorgungsprobleme gelöst sein müssen.

Die Idee, Krisen auch zu nutzen, um grundsätzlich umzusteuern, ist nicht falsch. Die effektivste Umsteuerung bestünde aber eben gerade darin, die Krise als Chance der Stärkung von Unternehmen wie auch von Bürgern zu nutzen. Sie nicht mit überzogenen Abgaben zu belasten, um dann als staatliche Retter daherzukommen, sondern sie zu entlasten und Freiräume zu schaffen, um unsere Wirtschaft schnellstmöglich wieder auf die Beine zu bringen. Strukturell würde das zugleich dem jahrelangen völlig verfehlten Ansteigen der Staatsquote und einer ausgeuferten Staatswirtschaft entgegenwirken. DAS wäre dann eine wirklich nachhaltige Zeitenwende.

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