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Von Messerattacken, Migration und Mutlosigkeit

Wie weltfremd kann man sein? Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) träumt sich offenbar die Welt zurecht. Die Themen Messerattacken und Sexualdelikte solle man nicht mit dem Thema Zuwanderung und Migration vermischen. Er hielte es für „gefährlich, einen solchen Zusammenhang herzustellen“, sagte er diese Woche in einem BILD-Talk. Andererseits rate er davon ab „Dinge wegzunuscheln“, denn das wäre „ein Konjunkturprogramm für radikale Parteien“. Widersprüchlicher geht es ja kaum. 

Das ist tatsächlich typisch für die heutige CDU. Wer nuschelt denn hier etwas weg? Das ist doch wohl Herr Rhein höchstselbst, wenn er sogar das Thematisieren eines möglichen Zusammenhangs vermeiden möchte, weil er bereits das für gefährlich hält. Um dann im nächsten Satz davor zu warnen, was er selbst soeben getan hat. 

Selbstverständlich muss man betrachten und auf empirische Evidenz prüfen dürfen, ob es da einen Zusammenhang gibt, und falls ja, worin der besteht. Denn wenn man das wie Boris Rhein es vorschlägt von vornherein unterbindet, wäre das wirklich eine höchst willkommene Wahlkampfhilfe für diejenigen, die er mit seiner Mahnung adressiert hat. Und ja, tatsächlich stellen sich bestimmte Politiker bei jeder unpassenden Gelegenheit hin und versuchen, die Angst vor solchen Straftaten für ihre Zwecke zu missbrauchen, indem sie sie sehr gezielt noch befeuern, zugleich aber nichts Substantielles zu möglichen Problemlösungen beitragen. Wenn Rhein aber glaubt, ein schlichtes Inabredestellen eines möglichen Zusammenhangs wäre die richtige Gegenstrategie, dann irrt er sich gewaltig.

Die einen freuen sich über jede weitere Chance, Angst auch noch anzuheizen und für ihre politischen Zwecke zu nutzen, die anderen leugnen schlicht das Problem. Beides ist falsch. Beides ist gefährlich. Beides wird dem Problem nicht gerecht. Werden wir also mal sachlich. Und leider wird das nicht beruhigend.

SCHLECHTE ERFASSUNG

Richtig ist: Über die `Polizeiliche Kriminalstatistik´, abgekürzt PKS, ist spezielle Messerkriminalität tatsächlich nicht belegbar. Aber warum nicht? Der Grund ist ganz einfach: Es wird erst seit kurzem gesondert erfasst und eine ausführliche Auswertung ist allenfalls in diesem Jahr erstmals zu erwarten. Wenn man sich die Dinge schönreden will, schaltet man von hier an die Ohren auf Durchzug. Steht nicht in der PKS, ist also eine haltlose Erfindung böswilliger Radikaler.   

Selbst wenn Messerdelikte nicht ausdrücklich in der PKS gelistet sind, lässt diese dennoch Folgerungen zu. Die Auswertung der jüngsten PKS zeigt Erschreckendes. Behalten Sie im Hinterkopf: Der Ausländeranteil an der Gesamtbevölkerung betrug im Jahr 2021 laut Statistischem Bundesamt 13,1 Prozent. Was wäre nun naheliegend? Dass die Polizeistatistik einen Anteil tatverdächtiger Ausländer ausweist, der – zumindest im Mittel – ebenfalls um die 13 Prozent liegt (Aufenthaltsdelikte selbstverständlich ausgenommen). Das wäre normal. Dann müsste man feststellen, dass die Nationalität keine Rolle spielt.  So ist es aber leider nicht. Ausländer sind leider überdeutlich in der PKS vertreten. 

ABSURDES WEGSCHAUEN

Nur den Bereich Gewalt betrachtet – die Anteile bei schwerem Taschendiebstahl würden Sie mir kaum glauben – beispielhaft diese Zahlen: Sexueller Übergriff und sexuelle Nötigung in besonders schwerem Fall gut 32 Prozent. Mord im Zusammenhang mit Sexualdelikten 30 Prozent. Schwere Körperverletzung auf Straßen, Wegen oder Plätzen gut 29 Prozent. Diese Delikte sind oft mit dem Einsatz von Messern, als Mittel zur Nötigung oder als sonstiges Tatwerkzeug, verbunden. Oder etwa nicht? Kein exakter Nachweis, aber es ist doch wahrscheinlich, dass die Messerverwendung anteilig enthalten ist.  Das kann man nicht allen Ernstes verdrängen. 

Hinzu kommt: Die PKS des Bundeskriminalamts ist nicht die einzige mögliche Quelle. Zur Kriminalität an Bahnhöfen zum Beispiel gibt es außerdem zuständigkeitshalber Daten von der Bundespolizei. Deren sogenannte `Polizeiliche Eingangsstatistik´ gibt durchaus auch konkrete Hinweise speziell auf Delikte, bei denen ein Messer eingesetzt wird. In den Jahren 2019, 2020 und 2022 (2021 fällt Corona-bedingt aus dem Rahmen, ist daher nicht berücksichtigt) waren ungefähr doppelt so viele Tatverdächtige, die ein Messer eingesetzt haben, `nicht-deutsch´ oder `unbekannt/ungeklärt´ wie Tatverdächtige mit deutschem Pass. Die Anzahl der Messereinsätze hat sich in den genannten Jahren von insgesamt 417 auf insgesamt 593 gesteigert. Erschreckend viele, bereits 2019. Die Erfassung begann erst Mitte 2018.

Aber diese spezielle Hervorhebung dieses einen Tatwerkzeugs ist auch eigentlich ohnehin irreführend. Denn diese furchtbare Entwicklung ist lediglich ein im Vergleich noch recht kleiner Teil der Gewalt. Die Bundespolizei spricht von insgesamt mehr als 23.000 (!) Gewaltdelikten an Bahnhöfen und in Zügen im Jahr 2022. Wer soll da noch mit gutem Gefühl unterwegs sein? Besonders in den Abend- und Nachtstunden reist die Angst mit. 

NUR VERDÄCHTIGE, KEINE TÄTER?

Man hört förmlich schon die üblichen Gegenstimmen. `Die Statistiken erfassen ja nur Verdächtige, keine verurteilten Täter, und wir wissen doch, dass Ausländer ständig zu Unrecht verdächtigt werden´. Richtig daran ist, dass sowohl die Statistik der Kriminalpolizei als auch die der Bundespolizei ausschließlich Verdächtige auflistet. Ändert das aber den Befund wirklich? Werfen wir einmal einen kleinen Blick auf die Situation in Justizvollzugsanstalten. Treffen wir hier auf eine saubere Erfassung von Deliktarten, differenziert bis hin zu Tatwerkzeugen und dann auch noch Nationalitäten der einsitzenden Straftäter? Nein, das auch da nicht. Was wir aber dennoch wissen: Der Anteil von Gefangenen ohne deutschen Pass hat in vielen Bundesländern sehr stark zugenommen und liegt zum Beispiel in Hamburg und Berlin sogar schon bei rund 50 Prozent. 

So sehr sich auch einfache direkte Übertragungen vom erschreckenden PKS-Eindruck auf die Gefängnisbelegung verbieten: Dass wir hier ganz offensichtlich ein gewaltiges Problem haben, kann niemand, der ehrlich hinschaut, ernsthaft bestreiten. 

ANGST ÄNDERT UNSEREN ALLTAG 

Und natürlich hat sich längst Angst in unseren Alltag eingeschlichen. Angst, die unser Verhalten verändert. Wie sollte es auch anders sein? Grauenvolle Geschehnisse wie jüngst in Illerkirchberg oder im Regionalzug zwischen Kiel und Hamburg prägen sich ein, begleiten uns. Und dann stellt sich ein Ministerpräsident der CDU, ausgerechnet der Partei, die doch angeblich aus ihrer Leugnungsvergangenheit der Merkel-Jahre gelernt haben will, im nahenden Wahlkampf hin und leugnet erneut ganz offensichtliche Zusammenhänge? Will Herr Rhein womöglich seine Konkurrentin um das Ministerpräsidentenamt, Bundesinnenministerin Nancy Faeser, im Wahlkampf aus wahltaktischen Gründen gleich links überholen? 

Was sind das für „Volksvertreter“, denen die Sicherheit der Bürger so gleichgültig ist? Merkelbefreit, aber immer noch merkbefreit? Instinktlos und fahrlässig ist das! Wir haben alle ein Recht darauf, dass der Staat seine Gewalthoheit nutzt, um seine Bürger vor Gewaltkriminalität zu schützen. Wenn Probleme negiert werden oder man offenkundige Zusammenhänge aus einer falschen politischen Korrektheit ängstlich bestreitet, können sie nicht gelöst werden. 

VORURTEILE ZUM NACHTEIL BESTENS INTEGRIERTER

Vielleicht ergeht es Ihnen ja wie mir und Sie haben auch bereits die Erfahrung gemacht, dass vollständig integrierte und rechtstreue Bürger, die eine eigene Migrationsgeschichte haben, oft sogar klarer, schärfer und zu Teilen auch wütender auf das Kleinreden der Probleme reagieren. Der Grund ist ganz nachvollziehbar: Sie spüren, dass die Stimmung in der Bevölkerung sich aufheizt und diese sich dann bei manchen ein – natürlich idiotischer und indiskutabler, aber davor sind leider nicht alle gefeit – Generalverdacht gegen alles, was nicht „biodeutsch“ aussieht, aufbaut, also auch gegen sie. Was den Unfrieden in der Gesellschaft nur noch weiter steigert. Das kommt dabei heraus, wenn Politiker sich wegducken, Verantwortung verweigern, Dinge nicht klar benennen, Lösungen verweigern und damit leider auch Vereinfachern das Feld überlassen, die daraus übles Kapital schlagen. 

Das ist eine sehr besorgniserregende Entwicklung, der wir alle durch nüchterne und unvoreingenommene Betrachtung der Realität entgegenwirken sollten.  Die Politik ist überdies gehalten, nicht wie Boris Rhein und so viele andere die Augen vor dieser Realität zu schließen, sondern konsequent zu handeln, um den Rechtsstaat entschlossen durchzusetzen und damit allen Bürgern die innere Sicherheit zurückzugeben, auf die sie einen Anspruch haben.   

 

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