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Rettungswirrwarr: Eine kleine Orientierungshilfe

Die Regierung lässt alle gemeinsam im Nebel herumirren – auch eine Art von „You´ll never walk alone“. Ich fürchte allerdings, die meisten Bürger hatten das Kanzler-Versprechen anders verstanden. War da nicht ursprünglich so etwas wie Fürsorge und Unterhaken durchgeklungen, sozialdemokratische Wärme als Aussicht für kalte Wohnzimmer fürchtende Menschen?

Nun, Ende September wurde jedenfalls nicht nur das Wetter deutlich kühler, sondern auch die politische Stimmung erreichte ein neues Tief. Zwischen den politischen Akteuren, in Europa wie auch in Deutschland, zwischen Bund und Ländern, sogar innerhalb der Koalition. Im Gegenzug heizt sich die Stimmung der Bevölkerung und der Unternehmen in Sorge vor unerfüllbaren Rechnungen, vor Pleiten und deren Folgen, vor mehr als nur ein paar Stunden andauernden Blackouts, immer weiter auf.

Nun sind wir in der Tat in einer schweren Krise. Es wäre in der aktuellen Lage illusorisch, eine rundum zufriedene Bevölkerung zu erwarten. Dass aber selbst in dieser Lage Partei-Egoismus und Bockigkeit so stark das Handeln dominieren, ist gerade angesichts der besonderen Not unseres Landes verantwortungslos. Es darf wohl nicht wahr sein, dass man sogar dringlichste Rettungsmaßnahmen vor sich herschiebt, nur weil man den politischen Mitstreitern den Punkt nicht gönnt oder weil man Angst vor Missstimmung in der eigenen Partei oder in der eigenen Fraktion hat.

Neben verantwortungsloser Verfolgung eigener Partikularinteressen mutet man den Bürgern eine permanente Veräppelung mit irreführenden, beschönigenden Begriffen zu. Selbst als Vollzeit-Politiker, der sich von morgens bis abends mit diesen Themen befasst, fragt man sich gelegentlich, ob man gerade irgendeinen Beschluss verpasst hat, wenn mit Begriffen hantiert wird, die die Sachlage vollkommen verfälschen. Lassen Sie mich heute darum einmal – zwangsläufig grob und unvollständig – ein paar Hauptlinien, die gerade diskutiert werden, skizzieren, um das unsägliche Durcheinander ein bisschen anfassbarer für Sie zu machen.

DER PREIS SELBST WIRD IN DEUTSCHLAND AKTUELL NICHT GEDECKELT.

Ganz wichtig: Lassen Sie sich nicht vom Begriff `Gaspreisbremse´ irritieren. Wenn Ihnen Entlastungen versprochen werden, dann geht es aktuell in der deutschen (!) Diskussion NICHT wirklich um Preisbremsen. Vielmehr sollen Verbraucher subventioniert, also unterstützt werden, Geld zugeschossen bekommen, damit sie wenigstens die dringend benötigte Energie nicht ganz allein bezahlen müssen. Wie diese Subventionierung aussehen soll, steht indessen noch gar nicht fest. Das soll die beauftragte Kommission erst klären.  Diskutiert wird im Moment insbesondere eine solche Lösung: Sie bezahlen für z.B. 70 Prozent Ihres bisherigen Energieverbrauchs einen Preis, der zwar weh tut, aber noch leistbar und vor allem kalkulierbar ist. Alles, was Sie darüber hinaus verbrauchen, zahlen Sie komplett selbst. Hier gilt der Marktpreis, auch wenn der ein Vielfaches des bisher Üblichen wäre. Aus den Reihen der Energieversorger gab es übrigens schon Widerspruch. Klar, das wäre ein Abrechnungswahnsinn.

ENTLASTUNGSPAKET 3

Der Kern des dritten Paketes, das Anfang September verkündet wurde, ist die o.g. Subventionierung von Energie-Rechnungen. Außerdem sind nicht wenige, aber gemessen an der drohenden Mehrbelastung kleine, finanzielle Erleichterungen im Paket, die aufzuzählen ich mir hier aber spare. Erwähnt seien nur eine Nachfolgelösung für das Ende August ausgelaufene 9-Euro-Ticket und eine Wohngeld-Ausweitung. Zum Paket 3 gehörte übrigens auch die Ankündigung, übermäßige Gewinne am Strommarkt abzuschöpfen, Stichwort „Zufallsgewinne“.

DER BUND-LÄNDER-STREIT

Alle drei erwähnten Punkte des dritten Paketes sind zwar vom Bund angekündigt, aber hinsichtlich der Finanzierung noch immer völlig strittig zwischen Bund und Ländern. Es ist ein bizarrer Streit, der da stattfindet, wo gesamtstaatliche Verantwortung mehr denn je gefragt wäre. Hinzu kommt jenseits der Paketthemen weiterer Streit um die Finanzierung der Flüchtlingsversorgung. Zusätzlicher Zunder.

DER „DOPPELWUMMS“

Die von Scholz gewählte kindliche Bezeichnung beschreibt die finanzielle Ausstattung von Entlastungsmaßnahmen. Der Bund nimmt 200 Milliarden Euro Schulden auf, um die Belastungen für Bürger und Unternehmen abzufedern. Auch diese Schulden verklausuliert er als sogenanntes „Sondervermögen“, das außerhalb des regulären Staatshaushalts laufen wird, damit Finanzminister Lindner weiterhin pro forma davon sprechen kann, die Schuldenbremse werde aber eingehalten. Der Name „Doppelwumms“ erklärt sich so: 200 Milliarden bedeuten grob eine Verdoppelung des Umfangs der bisherigen Energiepreis- und Inflations-Entlastungspakete. Mit dem starken finanziellen Engagement des Bundes hatte Scholz offenbar u.a. die Hoffnung verbunden, so eine Einigung über die Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern zu erleichtern.  Falsch gehofft.

DIE EU-DEBATTE – DEUTSCHLAND AM PRANGER

Viele EU-Staaten wollen einen PREISDECKEL für den Energieeinkauf. So gemeint: Die EU beschließt Höchstpreise, die ein EU-Staat zahlen darf. So soll verhindert werden, dass sich EU-Staaten gegenseitig überbieten und die Preise dadurch für alle in die Höhe treiben. Deutschland hat das bisher abgelehnt, denn die Bereitschaft und die Fähigkeit, hohe Preise zu zahlen, ist ein Vorteil bei der Beschaffung. Und die haben wir Deutschen besonders nötig, da wir durch unsere bisherige große Abhängigkeit von Russland besonders schlecht vorbereitet sind. Der Vorwurf an uns: Wir treiben die Preise, auch zulasten der anderen, puffern aber unsere eigenen Leute und unsere Wirtschaft durch besonders hohe Subventionen vor den Folgen ab, sodass unsere Wirtschaft am Ende womöglich weniger leidet als die der anderen und wir einen Wettbewerbsvorteil haben könnten. Die ZEIT fasst das so zusammen: „Die Bundesregierung hat sich mit dem Paket ein Prinzip zu eigen gemacht: Deutschland zuerst! Germany first!“

In der EU gibt es außerdem Bestrebungen, die Abfederungsmaßnahmen nicht national zu regeln, sondern EU-WEITE STÜTZPAKETE zu beschließen.  Noch kann sich diese Haltung nicht durchsetzen. Gut so. Zudem gibt es in der EU die Idee echter Preisdeckel.

MEINE EINSCHÄTZUNG FÜR SIE IN KÜRZE

Das Letzterwähnte zuerst, der Vorwurf „Germany first“: Es scheint hier einigen selbsternannten „Mustereuropäern“ nicht bewusst zu sein (oder sein zu wollen), in welcher Lage Deutschland im Herbst 2022 ist. Unser Land befindet sich, selbstverschuldet durch katastrophale wirtschafts- und energiepolitische Fehler der Regierungen seit 20 Jahren, keine Frage, in einer nationalen Notlage, wie es sie seit dem Bestehen der Bundesrepublik Deutschland in dieser Dramatik noch nicht gab. Es ist nurmehr natürlich, wenn eine Bundesregierung in solch einer Situation zunächst einmal die Nöte der eigenen Bevölkerung, so gut es eben geht, abzufedern versucht. Der Vorwurf einer „Germany first“- Politik geht insoweit ins Leere. Die Kritik daran ist übrigens ohnehin unehrlich, denn andere EU-Staaten vertreten, manche ganz offen, manche verdeckter, letztlich doch auch allesamt ihre eigenen Interessen mit erster Priorität. Das ist soweit auch ganz natürlich, und nur wir Deutschen scheinen damit ein Problem zu haben. Es kommt hinzu: Die EU-Vorschläge, ob echte Preisdeckel, Stützpakete oder weitere Schuldenvergemeinschaftung in der Krise, sind keine empfehlenswerten Instrumente, denen Deutschland sich anschließen sollte. Besser ist es deshalb, die Vorwürfe eines „Germany first“ selbstbewusst abprallen zu lassen.

Zur Subventionierung der Energierechnungen: Auch wenn eine grundfalsche Energiepolitik erst dazu geführt hat, dass Deutschland so hart getroffen ist, ist eine gezielte Abfederung für diejenigen, die die daraus jetzt resultierenden Belastungen nicht auffangen können, nun unvermeidlich. Bisher wurde nur leider viel Geld nach dem Gießkannenprinzip verschleudert. Das darf sich nun nicht noch einmal wiederholen. Die eingesetzte Kommission kommt da hoffentlich auf klügere Ideen und gezieltere Maßnahmen als die Regierung bisher. Außerdem, ich sage es wieder und wieder: Die soziale Unterstützung derer, die es alleine nicht schultern können, ist derzeit unvermeidbar, bleibt aber zwangsläufig ein Kurieren an Symptomen auf der Nachfrageseite, ohne der Ursache Herr zu werden.  Um die Preise wirklich – und nicht durch langfristig gar nicht haltbare Staatseingriffe – zu drücken, muss das Energie-Angebot erhöht werden. Immer noch verhindert hier vor allem grüne Ideologie die richtigen Schritte.

Schließlich: Was die Regierung Ihnen aus Angst vor der Zumutung der ganzen Wahrheit nicht deutlich sagt: Ein spürbarer Wohlstandsverlust wird im Zuge der Energiekrise eintreten, und er wird die meisten von uns treffen. Keine einzige Partei, keine Regierungskonstellation könnte diese Entwicklung in der Lage, wie sie heute ist, vollständig aufhalten. Diese Wahrheit deutlich auszusprechen vermeidet die Regierung. Selbst die klügste Politik – und von der ist diese Bundesregierung meilenweit entfernt – könnte den bevorstehenden Wirtschaftseinbruch allenfalls abfedern, aber nicht mehr vollständig verhindern.

Die dringlichste Klugheit hat die Regierung bereits unterlassen: Rechtzeitiges Handeln. Die Verzögerung, das Zaudern, das Vertagen durch Auslagerung der Entscheidungen auf Beschlüsse eingesetzter Kommissionen, all das beeinflusst die Wirtschaft bereits massiv negativ. Verunsicherung und Pessimismus durch den bestehenden eklatanten Mangel an politischer Führung in der Krise greifen überall deutlich spürbar um sich und wirken sich krisenverschärfend auf Märkte aus. Unternehmen, Kunden, Arbeitnehmer, Arbeitgeber, Familien, allen gemeinsam ist nun die Angst vor der Zukunft. Ist das etwa Ihr Versprechen eines „You´ll never walk alone“, Herr Scholz?

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