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Putins Krieg und Deutschlands Versagen

Wir alle stehen spätestens seit Donnerstag unter dem Eindruck der dramatischen Ereignisse in der Ukraine. Schon während ich diesen Text schreibe, verändert sich die Nachrichtenlage praktisch minütlich und ich fürchte, dass sich bis zum Moment des Erscheinens meiner Kolumne die Lage noch weiter verschlechtert haben wird.

Wie ich die Ereignisse grundsätzlich einschätze, habe ich bereits in meiner Videobotschaft am Mittwoch gesagt. Putin bricht Völkerrecht und trägt den gewaltsam militärisch ausgetragenen Krieg zwischen Staaten zurück nach Europa. Lassen Sie mich heute einen größeren Bogen zum Konflikt schlagen, indem ich einen Blick auf die Rolle Deutschlands darin werfe.

Der allgemeine Tenor sowohl in den Medien als auch quer durch alle Parteien (mit Ausnahme der AfD und der Linken, die aber keinerlei Relevanz haben) ist: Wir müssen mit harten Sanktionen reagieren, da eine aktive Kriegsbeteiligung nicht infrage kommt. Wer die Berichterstattung verfolgt hat, wird viel von „in aller Schärfe“ und „unbedingter Konsequenz“ gehört haben. Meist, so auch hier, ist solche martialisch und stark anmutende Wortwahl ein Zeichen für eine tatsächliche Schwäche in der Sache, die damit in der medialen und öffentlichen Aufmerksamkeit zu kaschieren versucht wird. Wer aufmerksam auf Zwischentöne achtete, wird zwischen all den Androhungen von schärfsten Sanktionen deutlich auch Widersprüchlichkeiten und Zweifel herausgehört haben.

Wer hat in der Brüsseler EU-Runde gegen den Ausschluss Russlands aus dem SWIFT-Verfahren gestimmt? Deutschland (nebst einigen wenigen weiteren). Wer hat rumgeeiert und wollte „NorthStream 2“ nicht grundsätzlich zur Disposition stellen? Deutschland. Wer sandte Helme statt Verteidigungswaffen? Deutschland.

Deutschland stimmt zwar laut ein in den Chor der Sanktionsankündiger, ist aber offenbar bei nur etwas näheren Hinsehen mit angezogener Handbremse unterwegs. Warum? Es hat letztlich mehrere Gründe, aber einer ist besonders offensichtlich: Weil berechtigt bei jeder Ankündigung die Sorge mitschwingt „Wenn wir das machen, wird Putin uns dann den Gashahn ganz abdrehen?“ Wir sind so abhängig von Russlands Energielieferungen – übrigens umfassen die deutlich mehr als Gas – dass bei jeder Sanktionsidee immer auch die Angst im Nacken sitzt. Es droht sich eben nicht so leicht, wenn man vom Bedrohten abhängig ist.

Interessant ist nun zu beobachten, wie sowohl die Medien als auch die Politiker in all den Talkrunden und Interviews sich gegenseitig darin bestärken, dass jetzt eine ganz neue Zeit beginnt. Ein Umdenken finde nun in der deutschen Politik statt. Habeck erklärt, wir seien naiv gewesen. Kramp-Karrenbauer tweetet gar „Ich bin so wütend auf uns, weil wir historisch versagt haben“, was immerhin bemerkenswert ehrlich ist.

Einsicht in Fehler und eine erste vorsichtige Bereitschaft zu einem Umdenken werden da sichtbar. Eine neue Zeit sei nun also angesagt. Das klingt erst einmal gut. Einsicht ist ja bekanntlich der erste Schritt zur Besserung. Nur habe ich bisher bei nahezu keinem Politiker und auch nicht bei den üblichen bekannten Journalisten den Eindruck, dass die Diagnose wirklich ungeschützt ehrlich und inhaltlich vollständig ist. Auf eine falsche oder grob unvollständige Diagnose aber kann keine richtige Therapie folgen.

In vielen Eingeständnis-Kommentaren wird nun mit Krokodilstränen bedauert, wie sehr die Bundeswehr-Ausstattung vernachlässigt wurde, sodass sowohl unsere eigene Wehrhaftigkeit als auch unsere Möglichkeit, anderen zu helfen oder Aggressoren wirksam abzuschrecken, massiv eingeschränkt ist. Richtig, und schlimm, aber das ist noch lange nicht das ganze Problem.

Erstaunlicherweise kommen Habeck und Baerbock dem Kern des Problems in gewisser Weise recht nah, sind aber zugleich wie immer mit absurder Logik und absurder Konsequenz und selbstredend auch unehrlich unterwegs. Sie brachten schon länger das Argument einer zu starken Abhängigkeit von Russlands Erdgas ins Spiel und haben auch die Pipeline NorthStream2 abgelehnt.

Ich übrigens nicht, und das hat sehr viel mit dem tatsächlichen Grund von deren Ablehnung zu tun. Der war nämlich mitnichten geostrategischer Natur, wie sie nun vorgeben. Habecks und Baerbocks eigentlicher Grund, NorthStream2 abzulehnen, lag in ihrer rein ideologisch begründeten Fokussierung auf sogenannte „Erneuerbare Energien“, und da passte mögliche längerfristig gesicherte Versorgung über eine zusätzliche Erdgas-Pipeline nun einmal nicht herein. Nun, nach der Eskalation in der Ukraine, ernten sie dafür aus ganz anderem – traurigem – Grund Zustimmung.

Wenn man indessen ehrlich herangeht: Wie glaubwürdig war denn das Argument der Unabhängigkeit und Versorgungssicherheit angesichts der eigenen Bestrebungen, uns von vermeintlich grünen Technologien abhängig zu machen, die weder ausgereift noch effektiv genug waren und sind, um uns eben diese dauerhafte Versorgungssicherheit zu gewährleisten? Man muss ja mit Blindheit geschlagen sein, wenn man den Grünen hier ein besonderes Bemühen um Sicherheitspolster und Unabhängigkeit zugestehen wollte. Das genaue Gegenteil ist der Fall: Seit etlichen Jahren lieferten sich die Grünen doch mit Frau Merkel einen geradezu absurden Wettbewerb um den schnellstmöglichen Ruin unserer Energieversorgungssicherheit. Die Ablehnung von NorthStream2 war da eher dem Marketing der eigenen Ideologie als irgendwelchen geostrategischen Überlegungen geschuldet.

Die Abhängigkeit von russischem Gas begann so eben auch nicht durch die Errichtung der Pipeline. Sie begann damit, dass kurzsichtige Regierungen – die Grünen waren und sind bis heute geradezu lustvoll dabei – die geopolitische Bedeutung einer sicheren und möglichst unabhängigen Energieversorgung mit Füßen getreten haben. Damit, dass eben tatsächlich wichtige Versorgungspfeiler – Kernenergie und Kohle – sinnlos und ohne jede Aussicht auf adäquaten inländisch produzierten Ersatz einfach weggeschlagen wurden. Damit, dass ohne Not eine Realität geschaffen wurde, die es nach Abwägung und angesichts weniger anderer realisierbarer Möglichkeiten vernünftig erscheinen ließ, die zwingend gebotene eigene Versorgung durch günstiges russisches Gas abzusichern.

Den Grundstein für diese fundamentale Fehlentwicklung legte bereits die rot-grüne Regierung unter Kanzler Schröder. Im Jahr 2000 vereinbarte die rot-grüne Bundesregierung den sogenannten Atomkonsens, der das langsame Ende der Kernkraft einläutete. Das unumkehrbare Aus der Kernkraft jedoch besorgte dann 2011 die durch Angela Merkel angetriebene Entscheidung des Bundestages, eine kurz zuvor beschlossene Laufzeitverlängerung rückgängig zu machen, acht Kernkraftwerke dauerhaft abzuschalten und weitere neun zu definierten Zeitpunkten ins Aus zu befördern (die letzten drei noch am Netz befindlichen deutschen Kernkraftwerke werden nach dem Gesetz über den Atomausstieg am Ende dieses Jahres vom Netz gehen).

Vollkommen unabhängig von der eigenen Einstellung gegenüber der Kernkraft muss man feststellen, dass hier von Kanzlerin Merkel vollkommen kopflos und überstürzt und (zumindest angeblich) getrieben durch den angeblichen Supergau Fukushima unsere bisherige Versorgungssicherheit aufgegeben wurde, ohne eine andere verlässliche und unabhängige Versorgung auch nur ansatzweise in sicherer Aussicht zu haben. Was Rot-Grün zuvor noch notfalls umkehrbar schon angelegt hatte, hat Angela Merkel 2011damit endgültig fixiert: Eine instabile Energieversorgung, die uns in massiv schädliche und gefährliche Abhängigkeiten, gerade zu Russland, gezwungen hat. In Moskau knallten damals 2011 aufgrund dieser Entscheidung Merkels die Korken.

Merkels ständiges Appeasement an die Grünen, sei es auf Überzeugung oder auf Kalkül gegründet, hat überdies dazu beigetragen, dass nicht etwa ergebnisoffen und staatlich gefördert neue Energieversorgungsmöglichkeiten erforscht wurden. Was wäre angesichts dieser Irrsinnsentscheidung, hierzulande parallel den Ausstieg aus Kernenergie und Kohleverstromung vorzunehmen, denn die Alternative zu russischem Gas gewesen? Nichts, was sich auch nur einen Millimeter von der grünen Ideologie eines einseitigen Setzens auf sogenannte Erneuerbare Energien entfernte, wurde ernsthaft ins Auge gefasst.

Und das wird heute von Wirtschaftsminister Habeck und seiner Partei, darin völlig unbehindert von den Regierungspartnern und auch den Unionsparteien in der Opposition, munter fortgesetzt. Auf die ihm diese Woche mehrfach im TV gestellte Frage, wie er denn die von ihm selbst propagierte Unabhängigkeit von russischen Energielieferungen bewältigen wolle, antwortete er wiederholt, das müsse man mit beschleunigtem Ausbau der „Erneuerbaren Energien“, sprich vor allem Wind- und Solarkraft, bewältigen. Ob Herr Habeck da etwas die Zeitschiene übersieht? Kann es sein, dass ihm der Unterschied zwischen JETZT und IN FERNERER ZUKUNFT VIELLEICHT EINMAL einfach nicht bewusst ist?

Angela Merkel aber ist letztlich die Hauptverantwortliche dafür, dass wir nun erpressbar und abhängig sind. Und es ist nicht zuletzt auch unsere durch Merkels Fehlentscheidungen erzeugte Schwäche, militärisch ebenso wie im Punkt Energieversorgung, die Putin einlädt, Grenzen zu überschreiten, denn er weiß, dass die Gegenwehr schwach ausfallen wird.

Vermutlich ist es kein Zufall, dass Annegret Kramp-Karrenbauer ausgerechnet ihre langjährige enge politische Begleiterin vom Lob ausnimmt, wenn sie twittert:

„Wir haben die Lehre von Schmidt und Kohl vergessen, dass Verhandlungen immer den Vorrang haben, aber man militärisch so stark sein muss, dass Nichtverhandeln für die andere Seite keine Option sein kann.“

Schmidt als Politiker der Konkurrenzpartei SPD wird hier Ehre zuteil, Kohl, den Merkel hinterging, ebenfalls. Beiden wird man unabhängig von eigener Parteizugehörigkeit immer eines zugestehen: Die Interessen Deutschlands lagen ihnen am Herzen und sie liebten ihr Land.

Liebe Leser, machen wir uns ehrlich und schauen wir auf das heutige Bild unseres Landes, das in diesen Tagen ungeschminkt und brutal ernüchternd zu Tage tritt: Es wird nicht einige Jahre, sondern sicher zwei bis drei Jahrzehnte dauern, um Deutschland nach dem Totalversagen der Jahre unter Kanzlerin Merkel wieder zu einem starken Land und einem wirkmächtigen, international ernstgenommenen Verhandlungspartner zu machen. Stand heute sind wir davon meilenweit entfernt.

Und diese Entwicklung wird es auch nur dann überhaupt geben können, wenn wir beginnend jetzt endlich wieder die richtigen politischen Entscheidungen treffen. Wiedererlangung der Wehrhaftigkeit und eine langfristig stabile eigene Energieversorgung sind dafür zwei elementare Voraussetzungen.

Von der aktuellen Bundesregierung, die eine Fortsetzung der Merkel´schen Politik mit anderen Gesichtern an den Tag legt, sind diese notwendigen deutlichen Richtungskorrekturen wohl kaum zu erwarten.

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