Fußball statt gratismutige Dauerpolitisierung
Es war in diesen ersten Tagen der Fußball-WM ein ausgeprägtes Missvergnügen, zugleich Fußballfan und Politiker zu sein, allzumal als Deutscher. Und das hat nur recht wenig mit der Auftaktniederlage der deutschen Nationalmannschaft gegen Japan zu tun. Uuups, da geht es ja schon los: Darf man in diesem Land überhaupt noch „Nationalmannschaft“ sagen? Oder ist das bereits politisch unkorrekt und mindestens verpönter, wenn nicht verwerflicher und entlarvender reaktionärer Sprachgebrauch? Ist es inzwischen womöglich, den Begriff las ich letzte Tage tatsächlich, eher angezeigt, von der „Diversschaft“ zu sprechen? Man weiß ja vor lauter „One Love“-Binden-Dramen kaum mehr, was in diesem ganz Chaos satirisch und was tatsächlich ernst gemeint ist.
Es wird in diesen Tagen, so scheint es mir, wirklich nichts unversucht gelassen, uns Fußballfreunden – ich weiß mich hier in einer sehr großen Gemeinschaft mit vielen Millionen Menschen – jegliche Freude an den Spielen der Fußballweltmeisterschaft der Männer zu nehmen. Ja, natürlich, diese Winter-Wüsten-WM in Katar ist aus vielerlei Gründen zurecht umstritten und in vielem sehr anders als alle Weltmeisterschaften zuvor. Und ja, natürlich, ein Sportereignis von dieser Größenordnung kann letztlich kein vollkommen unpolitisches Ereignis sein. Das waren andere Fußballturniere und mehr noch olympische Spiele zuvor auch nicht. Und selbstverständlich kann man am Austragungszeitraum, Austragungsort, an der Vergabementalität der FIFA (dies allerdings nicht erst mit der bereits 2010 erfolgten Vergabe an Katar, das sollte wohl in Deutschland hinlänglich bekannt sein) und an manchen Zuständen im Austragungsland Katar vieles kritisch sehen. Und es ist auch in Ordnung, dass das dann einmal benannt und thematisiert wird. Soweit ist das ok.
Was aber die Grenze zur Unerträglichkeit inzwischen sicher nicht nur für mich deutlich überschreitet, ist dieser permanente dauermoralisierende Gratismut-Protest mit symbolischen Gesten, die nicht selten einfach nur hochnotpeinlich wirken. Und die den Sport, um den es doch eigentlich hier gehen und der uns Freude bereiten soll, völlig in den Hintergrund drängt, ihn gleichsam förmlich zum Nebenereignis einer großen Politiktheaterinszenierung degradiert.
Da schreibt eine in moralischen Dingen stets gern sehr geräuschvolle Tageszeitung aus Süddeutschland nach dem Japan-Spiel der Deutschen allen Ernstes: „Ein moralischer Sieg aber blieb“. Gemeint war damit die Aktion „Hand vor den Mund halten“ des deutschen Teams vor Spielbeginn, was als Kritik an der FIFA gemeint war, nachdem man sich von dieser zuvor erst das Regenbogenprotestchen, dann auch noch auf das Rückzugs-„One Love“-Ersatzprotestchen hatte verbieten lassen. Mit Verlaub, aber was soll dieser ganze Firlefanz?
GRATISMUT
Ich will aber weder die Spieler noch die deutsche Teamleitung dafür anklagen. Die sind letztlich zum Spielball politischer Ränkespiele gemacht worden und würden vermutlich, wenn sie könnten, einfach nur Fußball spielen wollen und sich mit dem Team weder um Regenbögen noch um andere politische Botschaften scheren. Und das wäre auch genau richtig. Sie nun aber zu Helden des Widerstands machen zu wollen, ist nun wirklich absurd. Ebenso absurd übrigens, wie Innenministerin Faeser nun zur Widerstandsheldin zu stilisieren, weil sie sich doch tatsächlich erkühnte, in Gegenwart des FIFA-Präsidenten die One-Love-Binde auf der Promi-Tribüne zu tragen. Mut und Widerstand, das hat etwas mit echtem persönlichen Risiko zu tun, das man individuell für ein einem selbst wichtiges Anliegen in Kauf nimmt. Die iranische Nationalmannschaft, die das Singen der Hymne verweigerte, ging damit tatsächlich ein Risiko ein. Wochen vorher ging auch die iranische Kletterin Elnas Rekabi ein persönliches Risiko ein, als sie, wahrscheinlich absichtlich, ohne Kopftuch auftrat. Diese Menschen riskierten drastische Maßnahmen ihres Mullah-Regimes, und da wurden wirkliche Zeichen gesetzt, die vielleicht – hoffen wir es für die Menschen im Iran – sogar wirklich etwas bewirken können. Die Aktion der deutschen Mannschaft dagegen bedeutet so gut wie gar kein Risiko, ebenso wie die ganzen plakativen Aktionen rund um das Niederknien vor Spielbeginn, das Tragen einer Regenbogenkapitänsbinde und all die anderen heute fast schon allgemein üblichen Sperenzchen. Das alles sind billige Gratismut-Aktionen, und sie wirken in diesem Rahmen, gerade wenn es „von oben“ angeordnet ist, eher peinlich und deplatziert. Und es ist reichlich scheinheilig, nicht nur im Fußball. Es geht hier in Wahrheit gar nicht um echten Protest. Die Regenbogensymbolik wird im Fußballgeschäft wie auch in weiten Teilen der Wirtschaft doch längst als schmückendes Element fürs eigene Image benutzt. Buntwashing sozusagen.
Wie wäre es, wenn man das einfach mal sein ließe und sich auf das konzentrierte, weswegen man letztlich ja doch, wenn auch mit diesem oder jenem durchaus begründeten Murren, nach Katar gereist ist: aufs Fußballspielen (wer weiß, ob dann die Ergebnisse nicht auch erfreulicher wären, weil man sich wieder auf das Eigentliche konzentrieren könnte). Das Team, der DFB und die nun plötzlich wieder aufflammend buntbewegten Dauererregten in all den öffentlichen Diskussionen, sie sollen doch bitte, bitte endlich diese schrecklich selbstgerechte Moralsuhlerei unterlassen. Es ist, da bin ich mir sehr sicher, nicht nur mir kaum mehr erträglich.
SCHLUSS MIT DER DAUER-POLITISIERUNG
Nein, ich erwarte nicht, dass Politik bei einem großen Sportereignis wie einer Fußball-WM einfach ausgeknipst wird und man blind durch die Welt stolpert. Ich erwarte aber, dass sich die zuständigen Verbandsebenen untereinander und zeitlich weit vor dem eigentlichen Ereignis um all diese Dinge kümmern. Wenn ein Land als Austragungsort unzumutbar ist, dann wird da eben nicht gespielt. Wenn dann aber die Entscheidungen gefallen sind und gespielt wird, dann hat für diese Zeit der Sport im Vordergrund zu stehen und nicht die Politik. Es kann ja ein jeder für sich selbst entscheiden, ob er sich das Turnier anschauen mag oder daran nicht interessiert ist. Den Fußballfans aber, die sich möglichst viele der Spiele anschauen wollen und sich dafür begeistern, von Seiten der Politik moralingesäuert ein schlechtes Gewissen einreden zu wollen, das geht gar nicht. Ich bekenne frank und frei: Soweit es meine Zeit erlaubte, habe ich mir bereits einige Spiele angeschaut und werde das Turnier auch weiterhin mitverfolgen (mit oder ohne deutsche Beteiligung, möge einfach das beste Team gewinnen). Ich will konzentrierte Spieler und tollen Fußball sehen, am liebsten gemeinsam mit meinem total fußballverrückten jüngsten Sohn, und ich werde mir das nicht von selbsternannten dauerpolitisierenden Moralaposteln mies machen lassen!
Fußball verbindet Menschen unterschiedlichster Herkunft, wenn er Fußball sein darf, ganz besonders bei großen internationalen Turnieren. Und er kann spalten und entfremden, wenn er politisch missbraucht wird. Lassen wir letzteres nicht zu, und freuen wir uns an ersterem.
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