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Der Fachkräftemangel gefährdet unsere Wirtschaft!

Auch als Politiker hat man – Gott sei Dank – sein ganz normales Leben, in dem man vielen Menschen begegnet, die mit Politik im Grunde nichts am Hut haben, auch weil sie voll damit ausgelastet sind, die großen und kleinen Probleme ihrer ganz normalen täglichen Existenz geregelt zu bekommen. Ich bin immer wieder dankbar für diese Begegnungen, denn gerade die sind es, die mir zeigen, wo es bei den Menschen klemmt, wo die Menschen, wie man so sagt „der Schuh drückt“ und die mir Impulse für die politische Arbeit geben, was getan werden müsste, um manchen Problemen Abhilfe zu schaffen.

Da sind zum Beispiel Begegnungen mit Inhabern mittelständischer und vor allem auch ganz kleiner Betriebe, die mir ihr Leid klagen, dass sie trotz aller Bemühungen einfach kein mehr Personal bekommen, um all die Aufträge, die sie doch zu gerne annehmen würden, ausführen zu können. Da ist der Handwerksbetrieb, den ich gerne mit Reparaturarbeiten beauftragen würde, deren Inhaber mir erzählt, dass sie das gerne sehr machen würden, aber dass das leider länger dauern werde, weil er einfach keine Leute hat und findet. Da ist meine Friseurin, der vor einigen Monaten eine von ihr angestellte Friseurin abgesprungen ist, weil die mit ihrem Freund auf eine längere Reise gehen wollte. Und die nun keinen Ersatz dafür findet. „Der Markt ist leergefegt, Herr Meuthen, wie ich mich auch bemühe, ich finde einfach niemand, der mir diese Kraft ersetzt. Entsprechend weniger Umsatz mache ich nun, und ich habe wegen der Corona-bedingten Schließungen, die meinen Betrieb ganz stark betroffen haben, sowieso schon hart zu kämpfen. Jetzt könnte der Laden wieder brummen, aber ich finde einfach keine Mitarbeiterinnen.“

Oder am vergangenen Sonntag, da war ich mit meiner Frau in unserem griechischen Stammlokal, wo wir oft und gerne essen, auch weil wir den Wirt, ein Mann meines Alters, schon lange und recht gut kennen und daraus mit der Zeit ein freundschaftlicher Kontakt erwachsen ist. An diesem Sonntagabend ging es unserem Freund schlecht, er sah völlig abgekämpft aus und war es auch. Der alleinige Grund lag auch hier in eklatantem Personalmangel. Seit dem frühen Mittag hatte er den kompletten Service im Innen- und Außenbereich seines gut besuchten Restaurants praktisch im Alleingang bewältigt. Wer einmal seine Brötchen in der Gastronomie verdient hat, weiß, was für ein Stress das ist. Er erzählte uns dann, als es endlich etwas ruhiger wurde und viele Gäste sich verabschiedet hatten, dass er schon lange händeringend nach Servicekräften für die Bedienung der Gäste suche, aber die wenigen, die sich überhaupt vorstellten, den Job nicht zu machen bereit seien. Auch weil da auf dem Weg auf die Terrasse seines Lokals immer drei (!) Stufen zu nehmen seien, was ihnen auf Dauer doch etwas zu anstrengend sei.

Soweit ein kleiner Einblick in meine privaten Erlebnisse mit dem Thema „Fachkräftemangel“, alle aus der jüngsten Vergangenheit. Im politischen Raum begegnen einem dann – neben einigen eher wenigen, die das Problem durchaus begreifen – offenkundig ahnungslose, meist übrigens jüngere Politiker (oft solche, die sich darin gefallen, von „Politiker*innen“ zu sprechen) und regelmäßig aus dem linken Teil des politischen Spektrums, die vom „Mythos Fachkräftemangel“ schwadronieren und gerne herablassend erklären, es gebe eigentlich gar keinen Fachkräftemangel. In Wirklichkeit verhalte es sich so: „Fachkräftemangel herrscht nur in den Unternehmen, wo es verantwortungslose Arbeitgeber gibt.“ So formulierte das schon vor einigen Jahren eine linke Bundestagsabgeordnete. Klar, die Unternehmer, die händeringend nach Fachkräften suchen und durch den Mangel bereits unter großen Druck geraten, sind nach linker Logik ja gern mal widerliche Ausbeuter, die einfach nur keinen Bock auf anständige Arbeitsverträge und anständige Löhne haben.

Wie ahnungslos, und auch wie arrogant das doch ist! Es sei diesen weltentrückten sozialistischen Spinnern gesagt: Exemplarisch für hunderttausend andere Kleinunternehmer kann ich über den oben genannten Handwerksmeister, über die Chefin des Friseurbetriebs, über den Wirt meines Stammlokals – nur am Rande: alle drei sind nicht hier in Deutschland geborene Menschen mit Migrationshintergrund, die es hier über Arbeit, Arbeit und nochmal Arbeit zu etwas gebracht haben! – aus eigener Anschauung sagen, dass dies sehr tüchtige und anständige Menschen sind, die das volle unternehmerische Risiko ihres Kleinbetriebes tragen und die sowohl mit ihren Kunden als auch ihrem vorhandenen Personal tadellos und respektvoll umgehen.

Der Fachkräftemangel ist eine empirische Tatsache, und die Gründe dafür sind vielfältig, liegen aber ganz gewiss nicht darin, wo notorisch linke Kapitalismuskritiker sie regelmäßig vermuten. Die Erhebungen der Bundesagentur für Arbeit sprechen hier eine klare Sprache. Aus der sogenannten „Engpassanalyse“ für 2019 der Arbeitsagentur sinngemäß:

2019 wurde für 42 Prozent der bewerteten Berufsgattungen auf Fachkraftniveau ein Engpass festgestellt. Auf Spezialistenniveau ist die Zahl sogar noch höher. Betroffene Bereiche sind beispielsweise: Pflege, Handwerk, Bauberufe, Mechatronik, Lebensmittelherstellung und -verkauf, Kindererziehung, Gastronomie, Physiotherapie, Ergotherapie oder Sprachtherapie.

Eine Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung ergab sogar, dass zwei Drittel der Unternehmen unter Personalengpässen leiden. Dabei gibt es natürlich starke regionale Unterschiede ebenso wie unterschiedliche Intensitäten des Mangels in verschiedenen Branchen. Klar ist aber, dass wenn nichts geschieht, dieser Mangel sich weiter steigern und auch auf bislang eher wenig betroffene Branchen übergreifen wird, was nicht zuletzt demographische Gründe hat. Wir werden immer weniger Menschen im erwerbsfähigen Alter und das wirkt sich zwangsläufig aus. Stepstone, eine Online-Jobbörse, rechnet aufgrund einer eigenen Studie mit dem Wegfall von vier Millionen Erwerbstätigen bis 2030.

Warum passiert da bislang so wenig? Mutlosigkeit? Angst, der Überbringer schlechter Botschaften zu sein? Nun, die Lösungsansätze, die man sinnvollerweise ins Spiel bringen müsste, haben teils je nach Ausgestaltung, ihre Risiken, sich unbeliebt zu machen. Das ist wohl wahr. Vielleicht mache ich das nun auch, aber es ist wichtig, hier Tacheles zu reden.

Was wir einerseits dringend brauchen, und zwar zügig: Einwanderung von qualifizierten (!) ausländischen Arbeitskräften. Hier muss endlich eine Einwanderungsregelung her, die genau das ermöglicht. Man darf allerdings nicht meinen, mit besseren Möglichkeiten einzuwandern, würden uns automatisch die Tauben in den Mund fliegen. Für wirklich qualifizierte Kräfte sind wir in Deutschland längst nicht mehr das gelobte Land. Wir stehen in Konkurrenz zu anderen Ländern. Ländern, die zum Beispiel nicht die Hälfte des Einkommens an Sozialabgaben und Steuern auffressen. Unsere Sprache ist für viele Einwanderungswillige ein weiteres Hindernis und ich fürchte, aufgrund der Tatsache, dass unsere Regierungen bisher kein besonders großes Talent beim Thema Integration von Einwanderern bewiesen haben, hat sich Skepsis breitgemacht, die auch nach draußen dringt.

Ob Punktesystem oder Nachweis einer Arbeitsstelle vor Einreise, wer konkrete Einwanderungsmodelle vorschlägt, muss mit Prügel von allen Seiten rechnen. Von „Diese Beurteilung nur nach Nützlichkeit ist menschenverachtend“ über „Die Anforderungen sind so niedrig, dass wir nur neue Hartz IV-Empfänger importieren“ bis „Zuwanderer klauen uns unsere Jobs“ wird alles dabei sein. Lassen Sie sich aber, liebe Leser, nicht verunsichern. Wir reden hier von gewollter und planvoll gesteuerter Einwanderung, nicht von Asylpolitik. Und für durchaus auf Dauer angelegte Einwanderung ist es absolut legitim, dass man die Regeln komplett am eigenen Bedarf ausrichtet.

Was wir andererseits dringend brauchen, ist ein konsequentes Ausschöpfen unserer eigenen Möglichkeiten. Zum Beispiel durch kluge Anreize und Modelle für Menschen, die nicht mehr arbeiten müssen, dies aber durchaus noch wollen. Starre allgemeinverbindliche Verrentungsregeln ab Erreichen eines staatlich festgesetzten Renteneintrittsalters sollten längst ein Modell vergangener Zeiten sein, es wird der Vielschichtigkeit der heutigen Arbeitswelt in keiner Weise mehr gerecht. Auch muss der Druck auf arbeitsfähige Empfänger von Sozialleistungen spürbar erhöht werden, ihnen angebotene Beschäftigungsmöglichkeiten auch tatsächlich anzunehmen. Beim Übergang von Sozialleistungsbezug zurück in reguläre Beschäftigung muss dafür Sorge getragen werden, dass den Betroffenen auch wirklich unter dem Strich höhere verfügbare Bezüge übrigbleiben als bei Verbleib in der Beschäftigungslosigkeit. Im Bereich von Bildung und Ausbildung – eine politische Großbaustelle – müssen Anreize für neu auf den Arbeitsmarkt strömende junge Menschen geschaffen werden, Ausbildungsgänge zu wählen, für die ein wirklicher Bedarf besteht, und es muss jungen Menschen aufgezeigt werden, dass ein akademisches Studium keineswegs immer und für jedermann der klügere Weg in die eigene berufliche Existenz ist. Der Mittel und Wege zu höherer Beschäftigung gibt es viele.

Es bedarf dazu freilich der politischen Bereitschaft, auch unangenehme Dinge auszusprechen und politische Regelsetzungen zu treffen, die nicht jedermann sogleich begeistern werden. Es ist eine Frage des politischen Willens, weniger der Möglichkeiten. Viel Zeit bleibt uns nicht, eine entsprechende arbeitsmarktpolitische Korrektur vorzunehmen. Schon jetzt verzeichnen wir gesellschaftliche Wohlstandseinbrüche, die sich durch Nichtstun in den kommenden Jahren massiv weiter vergrößern werden. Während in anderen Politikfeldern, ich nenne exemplarisch die Umwelt- und Klimapolitik, der Handlungsdruck Tag für Tag förmlich in die Köpfe der Bevölkerung gehämmert wird, scheint ein Bewusstsein für die wirtschaftlichen Abgründe, auf die wir mit dem ständig sich vergrößernden Fachkräftemangel zusteuern, bislang entweder nicht oder nur bei unmittelbar davon Betroffenen vorhanden zu sein. Das muss sich rasch und umfassend ändern.

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