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Bankencrash und Inflation: Tänzeln am Abgrund

Wirtschaft, Banken, Leitzinspolitik, Inflationsbekämpfung, das sind für viele Menschen Themen, die eher keine große Aufmerksamkeit erregen. Da liest man eher nicht weiter oder klickt gleich weg. Das gilt als trockene, etwas langweilige, zudem komplizierte Materie, und viele denken auch, die ginge sie sowieso nichts direkt an. So denken viele. Ist aber nicht so.

Jedenfalls die Inflation geht ganz unmittelbar nahezu alle an, und sie betrifft übrigens die weniger vermögenden und ein eher geringes Lohneinkommen beziehenden Menschen deutlich stärker negativ als die Vermögenden und hochverdienenden Selbstständigen. Erst wenn es richtig dicke kommt und unangenehm am eigenen Geldbeutel spürbar wird, wird das besorgt wahrgenommen.

Das Musterbeispiel dafür sind die neueren Energierechnungen, und auch beim Einkauf im Supermarkt merken plötzlich viele Menschen, um wie viel leerer der Einkaufswagen an der Kasse ist, wenn man nur ein bestimmtes Budget für den Einkauf zur Verfügung hat.

Inflation hat extrem unsoziale Konsequenzen, das war schon immer so, und darum ist eine gute Politik der Preisniveaustabilität immer auch zwar unmerkliche, aber erfolgreiche Sozialpolitik. Erst dann also, wenn uns diese Dinge plötzlich selbst unmittelbar betreffen, werden Wirtschaftsthemen auf einmal für alle doch spannend, weil persönlich schmerzhaft.

SCHWANKENDER BODEN UNTER DEN FÜSSEN

Unübersehbar haben die westlichen Zentralbanken, die Europäische Zentralbank sogar ganz besonders, in den vergangenen Jahren aber mit ihrer permanenten extremen Niedrigzinspolitik keine gute Politik der Preisniveaustabilität verfolgt, sondern im Gegenteil mit der extremen Liquiditätsflutung erst den Grundstein für die Inflation gelegt, die sich nun in ohnedies sehr kritischer Zeit Bahn bricht. Was in Folge dazu führt, dass die Zentralbanken nun kurzfristig und hart – und deutlich härter, als das bei vorher vernünftiger Geldpolitik notwendig gewesen wäre – gegensteuern MÜSSEN, um ein noch weiteres Ansteigen der Inflation zu stoppen und den Weg zurück zur Preisniveaustabilität einzuschlagen.

Das hat Folgen und birgt erhebliche Gefahren in sich. Eine dieser Gefahren liegt im Bankensektor, exemplarisch zu sehen in diesen Wochen an den Crashs der Silicon Valley Bank in den USA und der Credit Suisse in der Schweiz. Das Zittern vor einem Übergreifen und einer neuen, vielleicht sogar noch größeren Bankenkrise als jener von 2008/9 geht um. Zwar hat sich die Lage in den vergangenen Tagen ein wenig beruhigt, aber wer sich ein wenig auskennt, weiß genau, das ist noch keineswegs ausgestanden, der Liquiditätsboden schwankt ganz erheblich.

CREDIT SUISSE – WAS IST PASSIERT? 

Lassen Sie mich, da die Zusammenhänge oft lückenhaft dargestellt werden, einmal in aller Kürze erklären, was eigentlich passiert ist. Der Absturz der Credit Suisse ist nämlich ganz und gar nicht isoliert zu sehen, sondern hat viel mit Wirtschafts- und Geldpolitik zu tun.

Kürzlich las ich in einer Diskussion die etwas triumphierende Frage „Was sagen eigentlich die Fans der freien Marktwirtschaft zu diesem Fall?“ Gemeint war wohl `Fall´ im Sinne von Absturz. Dazu vorab: Weder wir noch unsere westlichen Partnerländer leben in einer vollkommen unregulierten Marktwirtschaft, in der einzig das freie Spiel der Kräfte zählt. Es gibt Ordnungsregeln, und es muss sie auch geben. Zum Beispiel solche, die das Funktionieren des Marktes sicherstellen sollen, indem sie Monopole und marktbeherrschende Stellungen vermeiden sollen.

Und auch die Banken müssen sich eben national wie international an bestimmte Regeln halten.  Diese Sicherheitsregeln sind im Zuge der sehr negativen Erfahrungen mit der Bankenkrise 2008 zwar in sinnvoller Richtung ein wenig verschärft worden, aber eben längst nicht ausreichend, insbesondere was den Zwang zur echten Eigenkapitalunterlegung anbelangt. Ein Argument gegen die Marktwirtschaft ist das definitiv nicht, auch wenn die versammelten linken und ökosozialistischen Kräfte – in der Regel Menschen ohne ökonomische Bildung – dies gern so sähen und darzustellen versuchen, um für ihre planwirtschaftliche Voodoo-Ökonomik zu werben.

GIER UND ZOCKEREI

Der Absturz der Credit Suisse ist zum allergrößten Teil hausgemacht. Mit gierigem Blick auf höchste kurzfristige Gewinnmargen sind die verantwortlichen Manager viel zu hohe Risiken eingegangen, haben sinnbildlich gezockt, statt Risiken konservativ und seriös einzuschätzen. Volles Risiko bringt im Erfolgsfall hohe Gewinne, klar, aber letztlich hängt man so eine Bank auch an immer neue seidene Fäden. 

Die Credit Suisse, ursprünglich mal ein seriöses Traditionsunternehmen, hat sich also selbst durch falsches Risikomanagement ins Abseits geführt. Das Vertrauen sank und der Zusammenbruch einer anderen großen Bank jenseits des Atlantiks sowie damit aufkommende Ängste vor einer neuen Bankenkrise haben dann den letzten Schubser ins Abseits gegeben.

Wie oft in solchen Fällen hört man dann sofort den Ruf nach dem Staat, der alles retten soll. Getreu dem Motto „Gewinne einstreichen, Schulden vergemeinschaften“. Das konnte die Bankenaufsicht in diesem Fall durch ihr erfolgreiches Drängen auf eine Übernahme durch die größte schweizerische Bank UBS jedenfalls zu Teilen verhindern. 

GELDPOLITIK ALS STERBEHELFER

 Das ständige Segeln an der Kante, das ständige Spiel auch mit höchstem Risiko allein wäre womöglich noch einige Zeit gutgegangen, wenn nicht die oben beschriebenen zwingend notwendigen Leitzinserhöhungen die Lage massiv verschärft hätten. Was auf Kante genäht ist, verträgt keine zusätzlichen Herausforderungen. 

Für Banken nämlich sind diese Zinsanstiege eine erhebliche Belastung. Zum einen, weil ihre Refinanzierung bei der Zentralbank immer teurer wird, was sie in ihrer Geschäftspolitik im Kundenverkehr weitergeben müssen. Zum anderen, und das ist hier ausschlaggebend, weil sie ihre fiktiven, aus der Niedrigzinsphase zu hoch angesetzten Bilanzwerte nun nach unten zu korrigieren gezwungen sind. Für solide aufgestellte Institute ist das schmerzhaft, aber verkraftbar. Für die, die auf Kante gewirtschaftet haben, kann das unmittelbar tödlich sein. Und das ist hier geschehen. 

KLASSISCHES DILEMMA 

Es sollte auch nicht übersehen werden, dass auch andere Branchen durch die neue Zinspolitik heftig betroffen sind. So zum Beispiel die Baubranche, denn teurere Kredite bedeuten dort unmittelbar weniger Anreiz zu bauen, etliche bereits projektierte Vorhaben, unternehmerisch wie privat, werden bis auf weiteres auf Eis gelegt. Bereits erteilte Aufträge werden in der bislang bestens ausgelasteten Branche noch abgearbeitet, danach wird es erst einmal duster werden. 

Es ist schlicht so: Die viel zu spät eingeleiteten Zinsschritte führen nun zwangsläufig zu erheblichen realwirtschaftlichen Verwerfungen. Sollten sie deshalb unterbleiben? Die Folge wäre mindestens eine Zementierung der unverantwortlich hohen Inflation, bei zu lockerer Geldpolitik auch ihr noch weiterer Anstieg. Das kann niemand wünschen, und es liefe dem Auftrag der Zentralbank, für stabiles Geld zu sorgen, komplett entgegen. Kurzum: Es ist ein klassisches Dilemma, in dem man gar nicht umhinkommen kann, zwischen zwei Übeln das geringere zu wählen. Dahin hat uns die viel zu lange viel zu lasche Politik der EZB erst unter Mario Draghi, dann unter Christine Lagarde geführt. Der jetzige Versuch, zugleich die Zinsen weiter zu erhöhen und die Wirtschaft über andere Instrumente mit zusätzlicher Liquidität zu versorgen, ist nur Ausdruck tiefer Ratlosigkeit angesichts des selbstverschuldeten Dilemmas. Man kann kein Auto fahren, indem man mit dem einen Fuß Vollgas gibt und mit dem anderen zugleich das Bremspedal durchtritt. 

Wie immer möchte ich zum Schluss aber nicht nur die verfehlte Politik und ihre Konsequenzen aufgezeigt haben, sondern ich will Sie, liebe Leser, nicht im Unklaren lassen, was nach meiner festen Überzeugung getan werden muss. Das beschriebene Dilemma kann niemand auflösen. Aber auf mittlere und längere Sicht wären die weiteren Schäden eines Verzichts auf die Rückführung der Inflationsrate in ihren Zielkorridor die größere Katastrophe. Eine maßvolle und wohltemperierte Geldpolitik weiterer Zinsschritte nach oben sind deshalb das richtige Mittel der Wahl, auch wenn sie in kurzer Frist mit einer etliche Branchen betreffenden Stabilisierungskrise einhergehen. Durch die müssen wir nun hindurch. Das ist der Preis einer seit reichlich zehn Jahren viel zu lockeren Geldpolitik der EZB, die diese nun korrigieren muss. 

RITT AUF DER RASIERKLINGE 

Natürlich ist das auch ein Ritt auf der Rasierklinge, denn weitere Bankenpleiten könnten tatsächlich eine neue Bankenkrise auslösen, niemand kann das seriöserweise zu 100% ausschließen. Die Tatsache aber, dass man der Credit Suisse tatsächlich auch sehr viel eigenes Verschulden anlasten muss, ist für die Gesamteinschätzung im Grunde ermutigend. Denn der Absturz war eben nicht zwangsläufig, und es gibt eine ermutigende Zahl anderer Institute, die es besser machen. 

Ich hoffe, meine kleine Einordnung der aktuellen gesamtwirtschaftlichen Entwicklungen hilft Ihnen ein wenig, sich im Dschungel der Berichterstattung, die teils zu wenige Zusammenhänge herstellt und teils auch zu leichtfertig bereits entwarnt, besser zurechtzufinden.

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